Warum profitieren reaktionäre Parteien von den Nicht-Wählern?
Frage von Gast | 10.04.2021 um 21:01
Wenn jemand nicht wählt, dann ist die Chance groß, dass seine Stimme zu den reaktionären Parteien fällt.
Wieso eigentlich wird sie nicht zu den progressiven gezählt?
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Dieses Argument habe ich auch schon oft in den verschiedensten Kontexten und von den verschiedensten Parteien gehört, dadurch wird es aber auch nicht wahr.
Kurz gesagt, ist das Argument falsch. Die "fehlenden" Stimmen der Nichtwähler werden nicht irgendeiner anderen Partei hinzugerechnet. Stattdessen verfallen die Stimmen einfach. Ich kann dazu gerne ein kleines Rechenbeispiel geben. Nehmen wir einfachhalber 2 Parteien, eine Partei bekommt 25 Stimmen, die andere Partei bekommt 75 Stimmen. Egal ob wir jetzt eine Situation haben mit 100 Wählern (von denen jeder zur Wahl geht) oder 200 Wählern (von denen nur jeder zweite zur Wahl geht) - in jedem Fall hat die erste Partei 25 % der Stimmen und die zweite 75 %. Nur weil im zweiten Beispiel 100 Menschen nicht zur Wahl gegangen sind, werden diese Stimmen nicht einfach zu irgend einer anderen - möglicherweise bösen - Partei hinzu gezählt. Denn Basis der Berechnung ist immer die Anzahl der abgegebenen Stimmen, nicht die Anzahl der Wähler.
Wieso man dieses Argument dennoch immer wieder von den unterschiedlichsten Seiten und Interessenvertretern hört, wird vermutlich daran liegen, dass diese Interessenvertreter natürlich daran interessiert sind, dass ihre bevorzugte Partei gewinnt und gewählt wird. Und um ihre Wählerschaft einzuschwören nutzen sie das Mittel der Angst davor, die Gegenseite könnte zu viele Stimmen bekommen. Gehört habe ich das auch schon aus allen erdenklichen politischen Lagern.
Natürlich ist klar, dass jede Stimme für eine Partei schlecht für alle anderen Parteien ist (mögliche taktische Wahlen zu Gunsten oder zu Ungunsten der Ermöglichung einer bestimmten Koalition mal ausgenommen). Aber vom reinen Wählen oder nicht-Wählen profitiert erst mal keine Partei. Schließlich ist der zum Wählen aufgeforderte immer noch frei auch eine andere Partei anzukreuzen, als von den Interessenvertretern gewünscht.
Ich würde sogar soweit gehen, dass es nicht besonders dienlich ist, möglichst viele Menschen an die Wahlurne zu bringen. Das führt letztendlich nur dazu, dass der Anteil derer, die sich eigentlich gar nicht für Politik interessieren und dementsprechend auch keine Ahnung davon haben, wofür die einzelnen Parteien stehen, wächst. Dadurch wird dann das Wahlergebnis verwässert. Ich denke da zum Beispiel an Fälle, wo Menschen eine Partei nicht gewählt hätten, hätten sie vorher das Wahlprogramm dieser Partei studiert. Nur weil das Image der Partei besser war als deren tatsächlichen Inhalte. Umso größer der Anteil der Menschen, die ohne Ahnung oder nur mit rudimentärer Ahnung von Politik an die Wahlurne treten, umso eher führt die Wahl zu einer Politik, die gar nicht der gewünschten Politik derer, die gewählt haben, entspricht.
10.04.2021 um 23:17
Welche Menschen "die ohne Ahnung oder nur mit rudimentärer Ahnung von Politik an die Wahlurne treten," sind eigentlich gemeint?
Der letzte Satz ist auch irgendwo unrealistisch, da erwiesenermaßen die erstwählenenden oder kaumwählenden Männer und teils auch Frauen die z. B. 2019-20 AfD, CDU, FDP und SPD wählten, das doch wohlwissendlich taten. Ich glaube nicht an eine Ahnungslosigkeit der WählerInnen. Die Mehrheit ist konservativ eingestellt. Die glauben an das binäre Geschlechtersystem, an Gott, das Militär, Jagt, Geisteskrankheiten, finden Lesben und Schwule wie VeganerInnen und VegetarierInnen krank und haben rein gar nichts mit Feminismus zu tun, aber mit Antifeminismus und Rassismus.
Das wird zwar oft so hingestellt als gebe es 'Dumme Protestwähler' aber wenn wir uns mal fragen, gegen was diese ProtestwählerInnen protestwählen, dann kommen schnell die Begriffe > linksversiffung, sexualisierung der kinder, ausländerzuwachs, frauenquote, abtreibung u.dgl.
Ich denke es dient nur zur Irreführung was einige unbewusst fühlen und Legetimierung eines heterosexistischen Systems zu behaupten "die seien dumm".
30.04.2021 um 16:47
Damit sind zum Beispiel Menschen gemeint, die so wenig die aktuelle Politik verfolgen, dass sie vor der Wahl nicht einmal die Kanzlerkandidaten der größten Parteien nicht nur nicht benennen können sondern sogar nicht einmal deren Namen schon einmal gehört haben (ja, solche Leute gibt es).
Ich meine damit nicht, dass man das komplette Wahlprogramm aller Parteien von vorne bis hinten gelesen haben muss, finde aber, dass man zumindest grob sagen können muss, wofür die größten Parteien stehen (mit größten Parteien meine ich die, die aktuell im Bundestag sind, nicht irgendwelche Kleinstparteien, die unter 1 % der Stimmen bekommen). Wer das nicht kann und nur aus einem Bauchgefühl heraus wählt, hat für mich an der Wahlurne nichts verloren und liefe Gefahr, das Wahlergebnis sogar zu seinen Ungunsten zu verfälschen, weil ohne Sinn und Verstand gewählt werden würde.
Ich meine damit ausdrücklich keine Protestwähler, Protestwähler sind ja meist gerade deswegen Protestwähler, weil sie sich informiert haben und nicht mehr zufrieden sind. Dumm finde ich das keineswegs.
Was soll denn deiner Meinung nach jemand tun, der oder die zum Beispiel nicht vegan leben möchte oder heterosexuell sind? Willst du die alle aus dem Land verjagen?
30.04.2021 um 22:28